Von Indien in die Tiefsee: Jules Verne neu erzählt mit Figuren, magischen Bildern und Musik
- Benno Mitschka
- 30. Aug.
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 1. Sept.
Lag bislang unser Schwerpunkt auf den Klassikern des Opernrepertoires, so wollen wir 2026 ein neues Kapitel in unserer Theatergeschichte aufschlagen. Wir wagen uns an eine Uraufführung, die im eigentlichen Sinne keine Oper ist, sondern ein Figurentheaterstück mit Musik. Um die Geschichte musikalisch zu untermalen, greifen wir auf präexistente Musik – natürlich mit einem Schwerpunkt auf Opernnummern – zurück. Die Musik wird aber nicht nur untermalen, sondern auch ein eigener Teil unserer Erzählstrategie sein. Mit Jules Vernes "20000 Meilen unter dem Meer" drängte sich uns der perfekte Stoff für solch ein Unternehmen geradezu auf. Vernes Bücher um Kapitän Nemo sind ein Werk der Extreme: ein Rausch aus Bildern, Klängen und Ideen, ein Tauchgang in die Abgründe der Natur und der menschlichen Seele. Der Stoff schreit förmlich nach Musik. Verne erzählt nicht nur eine Abenteuergeschichte, er komponiert ein Crescendo aus Naturbeschreibungen, technischen Visionen und existenziellen Konflikten. Auch sein Protagonist Kapitän Nemo scheint direkt aus einer Oper entsprungen zu sein: Er ist größer als das Leben: exzessiv, melancholisch, zerrissen zwischen Rache und Sehnsucht. Seine Figur lebt von Ambivalenz, nicht von Eindeutigkeit. Ein geheimnisvoller Mensch zwischen genialem Wissenschaftler, politischem Rebellen und mythischem Abenteurer. Die Musik wird in unserer Bearbeitung also die ihr gebührende Rolle erhalten. Schließlich verstehen wir uns in erster Linie als Opernhaus.
Ganz in der Tradition der Oper wird auch das Visuelle bei uns nicht zu kurz kommen. Kaum ein Roman der Weltliteratur schreit so sehr nach Umsetzung in Bilder wie Jules Vernes "20.000 Meilen unter dem Meer": geheimnisvolle Unterwasserlandschaften, die futuristische Nautilus, der legendäre Kampf mit dem Riesenkraken. Als Figurentheater arbeiten wir mit Reduktion, mit Zeichen, mit poetischer Verdichtung, um im Kopf des Zuschauers die ganze Macht der Bilder zur Entfaltung zu bringen.
Ein ganz wichtiger Punkt wird in unserer Bearbeitung die Herkunft von Kapitän Nemo spielen. In den meisten Adaptionen erscheint Nemo als rätselhafter Europäer oder namenloser Außenseiter. Dabei bleibt oft unbeachtet, dass Jules Verne seinem Kapitän in späteren Werken eine klare Herkunft zuschreibt: Nemo ist der Sohn eines indischen Radscha, der sich gegen die britische Kolonialherrschaft auflehnt. Diese biografische Dimension verdient es, stärker ins Zentrum gerückt zu werden. Als Verne "20.000 Meilen unter dem Meer" schrieb, tobte in Indien der Aufstand gegen die britische Kolonialmacht. Der Roman erschien 1870 – kaum ein Jahrzehnt nach dem „Sepoy-Aufstand“ von 1857, der das Empire erschütterte. Nemo ist in Wahrheit ein Kind dieser Geschichte. Seine Wut auf die „Mächte der Oberfläche“ ist keine Laune, sondern biografisch fundierter Schmerz: Er hat Familie und Heimat im Kampf gegen die Kolonialherren verloren. Er ist nicht nur der exzentrische Ingenieur, sondern ein Pionier des Widerstands, der sich jeglichem staatlichen Zugriff entzieht, indem er buchstäblich unter ihm abtaucht. Die Nautilus ist nicht bloß ein Wunderwerk der Technik, sondern eben auch eine Utopie.
Eine Figurentheaterbearbeitung dieses Stoffs ist mehr als eine Literaturadaption. Es ist eine Chance, Vernes visionäre Kraft in einer theatralen Form lebendig zu machen, die gerade durch ihre Mischung aus Kunst, Spiel und Metapher den Kern der Geschichte trifft. Das Meer bleibt ein Geheimnis – und das Figurentheater ist die Kunstform, die diesem Geheimnis am nächsten kommt.
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